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Schwüre

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Schwüre

Schwüre (Kurzgeschichte)

Oder: Pyrrhussieg über tote Automaten

Anthologie aus dem Geest-Verlag 

Herausgeber: Arbeitskreis gegen Spielsucht e. V. in Zusammenarbeit mit dem Westfälischen Literaturbüro

Bunte Lichter – Dunkle Schatten: Glücksspiel – Faszination und Abgrund

Über die Ausschreibung 

Grußwort der Drogenbeauftragten der Bundesregierung Mechthild Dyckmans: »Glücksspielsucht ist eine Suchterkrankung, und für Betroffene und ihre Familien eine große psychische Belastung. Hinzu kommen fast immer finanzielle Probleme, bis hin zum wirtschaftlichen Ruin, häufig geht Spielsucht mit kriminellen Handlungen einher (…) Deshalb freue ich mich sehr über die vielen Projekte und Initiativen im Glücksspielbereich. Einen solchen innovativen Ansatz bietet das Literaturprojekt Bunte Lichter – Dunkle Schatten (…) Spieler und Glücksspiel waren schon häufig Gegenstand großer Literatur. Man denke an Alexej Dostojewskis Der Spieler oder an Thomas Manns Zauberberg. Die Texte sollen helfen, die Faszination des Glückssiels und die Probleme der Glücksspielsucht begreifbar und erfahrbar zu machen.«

Motiv(ation)

Glücksspiel zählt nicht zu meinen Lastern. Ich tippe mal Lotto  oder spiele Solitaire, aber das ist alles. Doch vorstellen kann ich mir, dass eine Anziehungskraft von sogenannten Glücks(?)-Spielen ausgeht, zumal unter Einsatz von Geld. Noch besser ausmalen kann ich mir, wie sehr Spielsüchtige, aber auch ihre Eltern, Geschwister, Partner und Freunde leiden, wenn das Spiel kein Spiel mehr ist, sondern einen geliebten Menschen psychisch und finanziell ruiniert, ihn Dinge tuen lässt, für die er sich schämt, die ihn belasten und auf die er sich ohne Sucht nie eingelassen hätte. Aus diesen Überlegungen und Gefühlen erwuchs Schwüre. Heute (fast 10 Jahre später) würde ich die Story wohl anders schreiben, sowohl was die Art der Sucht als auch die Protagonisten und ihr Umfeld betrifft. Aber  – alles hat seine Zeit.

Die Story

Alles auf Anfang

Dies ist die Geschichte von Kemal, sein Name bedeutet Vollkommenheit. Dazu die Geschichte von Said, dem Glücklichen, seinem besten Freund. Ebenso, das war die Aufgabe, die Geschichte von Spielautomaten, Raub und am schlimmsten: Verrat. Im gleichen Atemzug erzählt sie auch von Verzweiflung und Gewissenskonflikten, die Kemal zu zerreißen drohen. Denn Kemal will ein guter Mensch sein, doch der Sucht zu entkommen, zumal er sie sich nicht eingestehen kann, ist verteufelt hart. 

Der Schmerz, die Scham, die Schuld und die Qual.

»Wer stiehlt, ist nicht mein Sohn.«

Mit diesen Worten hat mich Ibrahim Demir, mein Vater, im Zimmer zurückgelassen. 

Klack, klack dreht sich der Schlüssel im Schloss. 

Meine Hand umklammert den Plastikhandspiegel, den er auf mein Bett warf. »Sieh, ob du deinen Namen noch zu Recht trägst«, schleuderte mir sein großer Mund Ungläubigkeit und Entsetzen entgegen. Im Silberspiegel überziehen sich meine dunklen Augen mit glänzendem Schimmer, den ich nicht ertrage. Zu schmal sind meine Lippen aufeinander gedrückt, schluckend lockere ich sie.

Ich wirke älter als siebzehn. Ein Grund, warum es ein Leichtes war, mir mit einem gefälschten Pass Zutritt zu verschaffen. 

Mein Kumpel Said besorgte ihn,  als er noch Teil der Afghanen-Gang war; Raub, Körperverletzung gehörten zum Alltag. Am neunzehnten Geburtstag landete er im Knast, aber nur kurz, zu wenig konnten sie ihm nachweisen. Wieder draußen lebte er sein altes Leben weiter, bis er vor einem halben Jahr Naima traf. Sie ist kaum älter als ich, stammt aus einer traditionsreichen afghanischen Familie. Ihr Wesen ist sanft wie das eines Engels, ihr Charakter verehrungswürdig gradlinig.

Said schwor ihr, dass er nun einen rechtschaffenen Weg beschreitet. Dreimal musste er den Schwur wiederholen, dann erst stellte ihn Naima ihren Eltern vor. Nun sind sie einander versprochen, aber Hochzeit wird erst sein, wenn Said genug verdient, um eine Familie zu ernähren. Das ist die Gradlinigkeit von Naimas Vater. Said absolviert eine Ausbildung zum Schreiner, will sich selbstständig machen. Said bedeutet glücklich, nun ist er auf dem Weg, seinen Namen zu erfüllen. 

Kemal bedeutet Vollkommenheit, doch ich bin dabei, meinen Namen zu verraten.

Nur noch einmal

Kemal weiß sich nicht anders zu helfen: Sucht und Scham brüllen auf ihn ein, nur noch ein einziges, allerletztes Mal spielen zu müssen, um Familienerbstücke, die er in der Pfandleihe versetzt hat, auslösen zu können. Kein freier Wille, kein Spaß am Spiel, sondern nackter Zwang.

Mir ist kalt, doch schwitze ich, wähle mein Spiel, aktiviere fünf Gewinnlinien, starte. Symbole aus Tausend-und-einer-Nacht, Aladins goldene Wunderlampe, strahlende Diamanten, goldbraune Schnabelschuhe, babyblaue Gongs, türkis- und pinkfarbene Zahlen, glittergrüne Buchstaben spulen in schneller Abfolge. Mein Mund fühlt sich an, als hätte ich Sägespäne gefressen. Drei Scatter brauche ich, dringend, dann spendiert eine verschleierte Tänzerin Free-Spins. Auf Free-Spins verdreifacht sich mein Geld. Oder, bitte, wenigstens einen Joker, damit sich mein Geld verdoppelt – wenn ich nur endlich gewinne. Im abgedunkelten Raum piksen Blinklichter schmerzlich in meine Augen, peinigen mein Hirn.

Jene magische Faszination, die das Spiel ursprünglich ausübte, brodelt nur noch selten in mir hoch. Meist zählt nur besser zu sein als ein toter Automat, das ist der totale Reiz, das puscht, vor allem wenn ich aus der Schule komme, die mir ohnehin fürs Leben nichts bringt. Ich habe doch Augen im Kopf, sehe, wie sich meine Kumpel abrackern, und doch keine Ausbildung ergattern.

Außer Said, dem Glücklichen.

Link zum Arbeitskreis gegen Spielsucht e. V.:

Arbeitskreis gegen Spielsucht e.V.

Mein Lieblingszitat aus Schwüre 

Du, Automat, bist schuld, dass ich alles verloren habe. Ich schwöre, ich werde es dir heimzahlen.

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